/Zustände wie alten Rom

Eine kulturgeschichtliche Betrachtung zu Mozarts Oper „Lucio Silla“

„Bad, Wein und Venus verbrauchen den Körper, aber sie machen das Leben lebenswert“ (römisches Sprichwort)

Kapitol, Palatin, Aventin, Caelius, Faquilin, Viminal und Quirinal: Auf diesen sieben Hügeln steht Rom, die Ewige Stadt, berühmt nicht nur für ihre Bauwerke und Kunstschätze, sondern auch berüchtigt für Exzesse und Ausschweifungen aller Art, man denke nur an solch illustre historische Gestalten wie Nero, Caligula oder Messalina. Spektakulär und weltberühmt sind die Auswüchse diktatorischer Herrschaft, und so manches davon erleben wir auch in Mozarts Oper „Lucio Silla“; die Opernfigur angelehnt an den Diktator Lucius Cornelius Sulla, geboren um 134 v. Chr., 82 v. Chr. zum Diktator ernannt und 78 v. Chr.gestorben.

Aber nehmen wir uns etwas Zeit (schließlich wurde auch Rom nicht an einem Tag erbaut) und schauen etwas genauer hin: Wie waren denn die Zustände im alten Rom wirklich? Wie wurde gefeiert? Wie wurde geliebt? Welchen Vergnügungen ging man&frau nach? Denn das Vergnügen hatte im alten Rom ebenso seine Berechtigung wie die Tugend, das römische Weltbild folgte, nolens volens, einem durchaus liberalen Ideal, und dies vor dem Hintergrund durchaus gewaltiger und anspruchsvoller kultureller und ingenieurtechnischer urbaner Leistungen.

Das alte Rom war berühmt für seine prachtvollen Bauten, seine mondänen Villen, seine großzügigen Plätze, seine Gymnasien, für Großprojekte wie Kanäle, Aquädukte und Straßen, für seine Theater und Arenen. In einem solchen Umfeld ließ es sich leben, wenn man zu leben verstand, wie jene von vornehmer Geburt, die stolz und selbstbewusst ihre Lebensfreiheit genossen und auslebten. Nur in der Stadt (und nicht auf dem Lande) war Mann man selbst, denn es gab alles, was man für die eigene Bequemlichkeit brauchte, vom erfrischenden Springbrunnen an beliebten Treffpunkten für die gepflegte Kommunikation bis zum entspannenden Badehaus.

Zu diesem Lebensstil gehörte ganz wesentlich das Gastmahl (von seiner Bedeutung vergleichbar vielleicht am besten mit den Salons der französischen Aristokratie des 18. Jahrhunderts), bei dem man die Tagesgeschäfte vergessen und im Kreise der Freunde und Kollegen entspannen konnte. Ein abendliches Fest, das gelegentlich auch Brauch war bei den nicht so Hochstehenden.

Die Sitten bei Tisch waren durchaus lockerer als heute üblich, und nicht selten kamen Menschen aus unterschiedlichen Schichten dabei zusammen. Genau geregelt war allerdings, wer welches Ruhelager an dem in der Mitte platzierten, mit vielerlei Köstlichkeiten gedeckten Tisch bekam, denn im Sitzen speiste man in Rom nur bei gewöhnlichen Mahlzeiten. Das Gastmahl war ein „Event“ im eher kleinen Kreis, hier waren die Gespräche tiefsinnig wie in einem Salon, hier war die Kunst der gepflegten Konversation zuhause. Eine andere Art von „Event“ waren jene Festivitäten, die dem Gott Bacchus gewidmet waren, dem Gott der Freude und Geselligkeit. Hier ging es deutlicher zur Sache, hin und wieder ekstatisch bis zum lustvollen Exzess. In vino veritas.

Zustände wie im alten Rom: Wer über dieses Thema philosophiert, kommt an den öffentlichen Bädern nicht vorbei.  Sie dienten weniger der Reinlichkeit, sondern waren, wie wir heute sagen würden „Wellnesstempel“, „Vergnügungsparks“ und „Fitnessoasen“. Logisch, dass sich die Philosophen kaum in Bäder wagten, entsagten sie doch solchen Vergnügungen und badeten im Monat nur ein oder zwei Mal. Ein Philosoph hatte schmutzig zu sein, als nobles Zeichen seiner asketischen Haltung. Für alle anderen waren Bäder eine tolle Sache: Jeder durfte in die Thermen, Reiche, Arme, Freie, Sklaven, Frauen, Kinder, Fremde gar, sofern sie den (nicht sehr hohen) Eintrittspreis entrichten konnten. Die Bäder in Rom waren durchaus luxuriös, mit allen erdenklichen Einrichtungen für das Baden und das Amüsement, und es wurde viel Wert gelegt auf üppiges Dekor und allerlei technisches Raffinement, zum Beispiel beheizte Böden und Wände. Wie heute im Strandbad ging es bunt und munter zu. Man traf sich, beobachtete die Menschen und pflegte ein intensives carpe diem.

Auf andere Weise das Beste aus dem Tag machten die Menschen im alten Rom, indem sie in ihrer Freizeit und zur Entspannung Spektakeln aller Art beiwohnten. Hier sind vor allem die „sportlichen“ Wettkämpfe wie Wagenrennen und die Gladiatorenkämpfe hervorzuheben, zu deren Zweck gewaltige Amphitheater errichtet wurden. Übrigens: Nicht nur die Plebs gab sich diesen durchaus zweifelhaften Vergnügungen hin, sondern sogar Senatoren und Philosophen, auch wenn viele von ihnen die „niedrige“ Begeisterung der Menschen für solche „Spiele“ kritisierten. Auf der anderen Seite hatten viele Denker eine hohe Meinung von Sportkämpfen dieser Art, konnte man von den Athleten doch so manches lernen: Mut, Ausdauer, Charakterstärke, Körperbeherrschung. Und von Seneca wissen wir, dass er stets dann ins Amphitheater ging, wenn ihn wieder einmal Depressionen plagten.

Panem et circenis: Das Volk auf den Rängen bildete „Fanclubs“ für oder gegen einen bestimmten Gladiator oder Wagenlenker. Ein Kampf war dann gut, wenn er mit der völligen Erschöpfung der Kämpfer endete. Der „Sponsor“ (wie wir heute sagen würden) des Wettkampfes entschied dann zusammen mit der vox populi über das weitere Schicksal des Mannes. Moriture te salutant: Das Urteil fällt in Sekunden, und das Spektakel endet mit tosendem Beifall. In der Arena zu sterben war ruhmvoll für die Kämpfer, und der „Sponsor“ war stolz auf seine Entscheidung über Leben und Tod: In seinem Hause schmückten kunstvoll gefertigte Keramiken mit den entscheidenden Szenen aus dem Spiel die Wände.

Kommen wir nun zu einem anderen großen Thema, dem größten Thema überhaupt, auch und gerade im alten Rom: Wie stand es zu Zeiten der Caesaren und Tyrannen um Liebe und Leidenschaft? In Mozarts „Lucio Silla“ steht das wollüstige Begehren des Tyrannen gegen die Liebe, die am Ende, wie könnte es anders sein, nach einer Fülle von Irrungen und Wirrungen obsiegt. Wir wollen uns aber an dieser Stelle nicht allzu sehr mit den dramatischen Ereignissen in Mozarts Oper befassen, sondern unseren Blick, durchaus ein wenig voyeuristisch, auf das Thema Liebe und Erotik im realen Rom dieser Zeit richten.

Trotz der landläufigen Meinung, im alten Rom sei geradezu „alles erlaubt“ gewesen, gab es viele Verbote und Tabus. Als schwerer Lüstling galt ein Mann, der drei Tabus missachtete: Liebe machen bei Tageslicht, Liebe machen im unverdunkelten Zimmer und Liebe machen mit einer völlig entkleideten Frau. Ja: Selbst die Damen des horizontalen Gewerbes waren bemüht, eine letzte Hülle, anzubehalten.

Das Verhältnis zwischen Mann und Frau war das Verhältnis zwischen Herr und Liebesobjekt. Mann besaß die Frau, ließ sich bedienen und durfte gar zu den Mitteln der Züchtigung greifen. Und: Solange ein an sich heterosexueller Mann, ein freier Mann wohlgemerkt, kein Sklave, Liebe machte mit einem Knaben, dann war das eine lässliche Sünde, allerdings unter der Voraussetzung, dass das Liebesobjekt ein Sklave oder „Verächtlicher“ war. Die sexuelle Entspannung mit einem Knaben war gut für Nerven und Gemüt, so sagte Mann, im Unterschied zur Leidenschaft für eine Frau, die einen freien Mann versklavte. Die erotischen Exzesse der Tyrannen entsprangen deren Willen, andere zu unterwerfen: Nero, der eher Passive, hatte seinen Harem, der ihn bediente, Tiberius hielt sich junge Sklaven, und Messalina versuchte bekanntlich alle Rekorde zu brechen. O tempora! O mores!

Kapitol, Palatin, Aventin, Caelius, Faquilin, Viminal und Quirinal: Auf diesen sieben Hügeln steht Rom, die Ewige Stadt, noch heute. Die Zustände haben sich zwar geändert, doch drunter und drüber geht es mitunter noch immer, vor allem auf der politischen Bühne. Man bedenke, dass erst vor nicht allzu langer Zeit, ein Mann wiedergewählt wurde, der in mancherlei Hinsicht durchaus Ähnlichkeit hat mit Tyrannen vom Schlage eines Lucio Silla. Doch nun sollten wir eine der wichtigsten Weisheiten der alten Römer beherzigen und den Tag so nutzen, wie er es sich verdient hat. Carpe diem!

(Auftragsarbeit im Rahmen des Kulturprogramms von Siemens Österreich)